Prof. Dr. Dieter Eißel war am Institut für Politikwissenschaft der Universität Gießen tätig und an vielfältigen Forschungsprojekten zur Arbeitsmarkt-, Sozial-, Regional- und Umweltpolitik beteiligt. Er begann seinen Vortrag mit einem Rückblick auf die 70er Jahre. Angesichts nachlassender Wachstumsraten und steigender Arbeitslosigkeit nach Ende des Nachkriegsbooms änderte sich der Kurs der Wirtschaftspolitik. Der Staat, insbesondere die sozialen Errungenschaften, wurden als Hemmnis für einen Wiederaufschwung betrachtet. Stattdessen sollten Marktkräfte in einer zunehmend globalen Wirtschaft freigesetzt werden. Auch die deutsche Politik reagierte mit einem Abbau von Steuern für Unternehmen und für die Reichen, einer Deregulierung des Arbeitsmarktes und einem Abbau des Sozialstaates auf die Veränderung der Wirtschaftsdaten.
Was waren die Folgen? Es entstand eine wachsende Lücke zwischen Arm und Reich, u.a. durch den starken Anstieg von Niedriglöhnen. Die Ungleichheit zeigte sich aber nicht nur bei den Einkommen und Vermögen, sondern auch im Bildungsbereich. Die Krise des Sozialstaates wurde durch die Finanzkrise von 2008 noch weiter verschärft und die Verlierer dieser Entwicklungen waren von den etablierten Parteien enttäuscht und wandten sich zunehmend rechtspopulistischen Parteien zu. Aber nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich ist eine wachsende soziale Ungleichheit problematisch, weil sie die Nachfrage breiter Bevölkerungsschichten schwächt, während gleichzeitig Investitionen vermehrt in spekulative Anlagen des Finanzmarktes fließen.
Was kann getan werden? „Was wir brauchen ist die Wiederherstellung eines handlungsfähigen Sozialstaates, der willens und in der Lage ist, Zukunftsinvestitionen vor allem in Bildung, Wohnungsbau und die Infrastruktur zu tätigen. Dafür sind Änderungen der Steuer- und Sozialpolitik wesentliche Voraussetzungen“, so Prof. Dieter Eißel.
Klar ist für den Referenten aber auch, dass diese Fragen nicht alleine auf der nationalstaatlichen Ebene gelöst werden können. Dringend steht die Schaffung eines sozialen Europas auf der politischen Tagesordnung. Ob eine soziale Neuorientierung (z.B. durch national angepasste Mindestlöhne, Durchsetzung der Entsenderichtlinie, Mindeststeuern für Konzerne usw.) der Europäischen Union gelingt, wird die Lebensbedingungen der Menschen stark beeinflussen. Es geht um die Frage welches Europa wir wollen, ein Europa für die Menschen oder für die Interessen der Multinationalen Konzerne. Letztlich wird die Akzeptanz der Europäischen Einigung bei den Menschen davon abhängen.
Die Besucher belohnten den Vortrag von Prof. Dieter Eißel mit viel Beifall, um dann intensiv Möglichkeiten zu diskutieren, wie die Schere zwischen Arm und Reich wieder geschlossen werden könnte. Angesprochen wurden Maßnahmen der Steuerpolitik, eine Reform der Sozialversicherung, mehr Investitionen in die Bildung sowie eine Stärkung der Gewerkschaften und der Mitbestimmung. Karl-Ernst Schaub, Vorsitzender der SPD Biebertal, blieb es vorbehalten den Abend mit der Feststellung zu schließen: „Die Frage einer gerechten Verteilung von Einkommen und Vermögen wird über die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft und unserer Demokratie mitentscheiden!“